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2. Oktober 2025, erzählt von Patrick

Wir haben so einiges erreicht: Weltrekord mit Balkonien 25, 19 Videos, 25 Artikel, 32 Podcasts, Fast Forward Science Preis, ein Buch und ein Kartenspiel.

Oder: Wie wir lernten, dass fünf Menschen zwar viel bewegen können – aber anders als gedacht

Vor einem Jahr saßen wir zusammen und hatten große Pläne. Gelegentlich und in Momenten überhöhter Euphorie sogar riesengroße. Jede Woche mindestens ein Video auf YouTube, die Klimanachbarn sollten alle zwei Wochen erscheinen, ganz viele Artikel, wir wollten Content in allen erdenklichen Formaten produzieren, und die Umwandlung in eine gGmbH? Ein Kinderspiel. Dachten wir.

Heute, zwölf Monate später, sitzen wir wieder zusammen. Diesmal mit anderen Erkenntnissen: Wir haben gelernt, dass „gemeinnützig“ nicht nur ein sympathischer Stempel, sondern ein bürokratisches Abenteuer ist. Dass die Frage „Was macht ihr eigentlich bei beyond content?“ schwerer zu beantworten ist, als gedacht. Manche unserer Großeltern struggeln noch immer mit unseren Antworten. Und wir haben gelernt, dass manchmal die wichtigsten Momente nicht die sind, die man plant, sondern die, die einfach passieren.

Die gGmbH-Odyssee: Wenn Idealismus auf deutsche Bürokratie trifft

Die Umwandlung zur gemeinnützigen GmbH klang so logisch. Und irgendwie einfach. War sie nicht. Was wir nicht wussten: Eine gGmbH zu betreiben bedeutet, sich in einer Welt aus Satzungsänderungen, „Mittelverwendungsnachweisen“ und Finanzamts-Korrespondenzen zurechtzufinden. Jörn verbrachte Wochen damit, zu verstehen, was wir eigentlich dürfen und was nicht. Der Rest von uns fragte irgendwann genervt: „Können wir nicht einfach gute Sachen machen?“ Können wir. Aber nur, wenn es in Paragraf Soundso steht.

Die größte Herausforderung blieb aber weiterhin: „Was macht ihr eigentlich?“ Diese Frage bekamen wir ständig gestellt. Von Freunden, der Familie, potenziellen Partnern. Unsere Antwort wurde mit jedem Mal länger. Journalismus? Ja, aber auch nein. Aktivismus? Irgendwie schon, aber anders. Bildung? Auch das, aber nicht nur. Ach, und „Wie macht ihr dann eigentlich euer Geld?“

Der Weltrekord, von dem (noch) zu wenige wissen

Während des Frühjahrs passierten dann die ersten Dinge mit Wirkung in der echten Welt. Einige von uns kamen auf die Idee, einen Weltrekord zu brechen: „Der alte Rekord liegt bei 200 Balkonkraftwerke an einem Tag. Aus alten PV-Modulen.“ Das wurde Balkonien 25. Kein Urlaub Zuhause, sondern eine der inspirierendsten Geschichten unseres Jahres. Getrieben und umgesetzt von Climate Connect. Fünf Städte, ein Ziel: Den Weltrekord im Solar-Upcycling knacken. Die Module: ausrangiert von großen Anlagen, deren Förderung ausgelaufen war. Voll funktionsfähig, aber wirtschaftlich nicht mehr interessant für die Betreiber und in den meisten Fällen ersetzt durch eine neue, leistungsfähigere Anlage.

Patrick dokumentierte das Chaos in Erlangen, wo der Oberbürgermeister persönlich vorbeikam. Action gab es auch in Marburg, Potsdam und anderswo. Überall das gleiche Bild: Menschen halfen dabei, ihre eigenen Kraftwerke zusammenzuschrauben. Das Zubehör musste bezahlt werden, die Module gab’s umsonst.

„Das ist ja gar nicht schwer!“, hörten wir hundertfach. Genau das war der Punkt. Die Energiewende ist keine Raketenwissenschaft. Sie scheitert nicht an Technologie, sondern an der Vorstellung, dass nur Expert:innen sie umsetzen können. Vor Balkonien 25, nämlich fast ein Jahr früher, haben Patrick und Michi bereits an einem Balkonkraftwerk gebastelt und solche Erfahrungen sind es, die zu neuen Perspektiven und coolen Ideen führen.

Am Ende des Tages: Rekord gebrochen. Aber das war fast nebensächlich.

Balkonien 25 zeigte, dass wir ruhig groß denken dürfen

Balkonien 25 zeigte, dass wir ruhig groß denken dürfen

Der noble Verlierer und wir

Balkonien war ein Wendepunkt. Aber der eigentliche Schlag ins Gesicht kam kurz danach – in Buchform. „Moralische Ambition“ von Rutger Bregman. Jörn kam von der re:publica 2025 zurück und konnte nicht aufhören davon zu reden.

Eine Kernaussage traf uns ins Mark: „Die größte Verschwendung unserer Zeit ist die Vergeudung von Talent.“ Und dann diese Definition des „noblen Verlierers“: Jemand, der mit guten Absichten auf der richtigen Seite der Geschichte steht, aber im Hier und Jetzt nichts zustande bringt. Verdammt. Waren wir das? Zahlreiche Geschichten produziert, darunter viele Artikel, eine neue Website gelauncht, das Miteinander-Kartenspiel entwickelt, unser erstes Buch geschrieben – und trotzdem das Gefühl: Reicht das? Bewegen wir wirklich was oder produzieren wir „nur“ Content für unsere Bubble?

Die 96-Prozent-Erkenntnis aus dem Buch haute uns um: Fast alle Menschen helfen, wenn sie gefragt werden. Und da saßen wir und realisierten: Wen fragen wir denn konkret? Wen fordern wir auf mitzumachen? Balkonien hatte es uns vorgemacht: Menschen wollen mitmachen. Sie müssen nur die Chance bekommen. Sie müssen nur gefragt werden: „Willst du ein Kraftwerk auf deinen Balkon stellen?“ Und plötzlich stehen da dutzende (wenn nicht hunderte) Menschen mit Schraubenziehern.

Wir möchten raus aus der digitalen Komfortzone

Am 20. November werden Jörn und Patrick im Kulturbahnhof Ottensoos stehen. Mit echten Menschen. Mit ihrem „Kleine Wesen“-Projekt. Nicht nur zeigen, was wir gemacht haben, sondern fragen: Was können wir sonst noch tun?

Eine Woche früher, am 14. November, wird es im Erlanger E-Werk sehr konkret: „Umweltjournalismus in stürmischen Zeiten“ – aber eigentlich geht’s nicht um etwas Statisches. Wir wollen nicht nur erzählen, wir wollen fragen: Macht ihr mit? Habt ihr eine Geschichte? Könnt ihr was beitragen?

Das ist neu für uns. Monatelang haben wir Content produziert, Newsletter verschickt, auf Social Media gepostet. Alles digital, alles irgendwie remote. Jetzt gehen wir raus. Werden angreifbar. Müssen vielleicht auf Fragen antworten, die wir nicht vorbereitet haben.

Zwischen all den Zweifeln kam im August eine Nachricht: Patrick hat den ersten Preis beim Fast Forward Science Sonderpreis Energie gewonnen. Mit einem Video über Deutschlands Wassereinsparung durch den Atomausstieg. 165 Einreichungen. Größtenteils professionelle Wissenschaftskommunikatoren. Teilweise echt große Budgets. Und dann Patrick mit seinem „Happen Hoffnung“.

Wir lernen: Es geht nicht um Perfektion. Es geht darum, komplexe Themen so zu erzählen, dass Menschen sie verstehen UND ins Handeln kommen. Patricks Videos über Paulownia-Bäume, Deutschlands größten Solarpark oder das höchste Holzwindrad der Welt – sie zeigen Lösungen, die schon da sind. Die nur noch umgesetzt werden müssen.

Michi und Patrick bei der Fast Forward Science Preisverleihung in Berlin

Michi und Patrick bei der Fast Forward Science Preisverleihung in Berlin

Einige Lehren, viele Vorsätze

Ja, wir haben viele Geschichten produziert und tolle Momente ermöglicht. In einem Jahr kamen 19 Videos, 25 Artikel und 32 Podcasts dazu. Unsere kleinen Wesen auf kleine-wesen.org haben in 22 neuen Geschichten ihre Welt erklärt. Unser Kartenspiel „Miteinander“ verwandelt Smalltalk in echte Gespräche. Unser Buch „Kleine Wesen — Große Verantwortung“ macht den Biodiversitätsverlust greifbar. Aber jetzt wissen wir: Das reicht nicht. Content produzieren ist eine Sache. Menschen zum Handeln bewegen eine andere.

Die Klimanachbarn erscheinen nicht mehr alle zwei Wochen. Manchmal vergehen viele Wochen. Weil wir gelernt haben: Besser eine Geschichte, die Menschen aktiviert, als zehn, die nur informieren. Unsere neue Website „unverspielt“, nüchtern, ohne Pop-ups. Wir wollen nicht nerven. Wir wollen Hoffnung geben. Und dann fragen: Was machst du daraus?

Nach einem Jahr als gGmbH haben wir verstanden: Wir sind keine noblen Verlierer. Aber wir könnten so viel mehr sein. Wir könnten „Zeros“ sein – Pioniere, die andere mitreißen (lies dazu diesen Artikel!). Die nicht nur berichten, sondern bewegen. Deshalb machen wir uns jetzt die Hände schmutzig. Packen an. Investieren – mit Zeit, Energie und, wo möglich, auch finanziell.

Am 20. November in Ottensoos und am 14. November in Erlangen könnt ihr uns treffen. Wie Balkonien gezeigt hat: Manchmal reicht es, einfach zu fragen. Viele, viele Menschen sagen Ja.

Bevor wir die nächsten Schritte gehen, noch eine Frage: Hat unsere Arbeit euch im letzten Jahr eine neue Perspektive aufgezeigt oder gar veranlasst, selbst eurer Mission zu folgen? Schreibt uns gerne dazu – und auch sonst, wenn ihr euch von den nächsten 12 Monaten etwas Bestimmtes erhofft.

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