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27. Oktober 2025, erzählt von Patrick

Was mich vor allem umgehauen hat: wie stolz Andy auf sein kenianisches Team und den Standort Afrika ist. Das Bild vom „Opferkontinent“ ist ein Märchen.

Wir hatten’s neulich über Martin und Octavia Carbon. Ein österreichischer Unternehmer, der seit Jahren in Nairobi lebt, um dort Direct Air Capture-Anlagen zu bauen – zu einem Bruchteil der Kosten westlicher Konkurrenten. Doch was passiert eigentlich mit dem CO₂, das Martin aus der Luft filtert?

Hier kommt eine Geschichte, die zeigt, mit wieviel Selbstbewusstsein afrikanische Entrepreneure inzwischen auftreten dürfen.

Denn let’s be honest: Wenn man mit einer europäischen Brille durchs Leben geht, kann man vergessen, wie sich Überholen anfühlt. Weil gefühlt läuft’s bei uns schon lange ziemlich rund und wir sind vielleicht nicht überall Weltmarktführer, aber zumindest oft genug nah genug dran. Ist man ein junger College-Absolvent in einem x-beliebigen afrikanischen Land, sieht’s da anders aus. Wenn man Afrika hört, denkt man nicht zuerst an Lösungen, sondern an Probleme. Dass man auf diese Schublade irgendwann echt keine Lust mehr hat, kann ich voll verstehen. Und umso cooler finde ich es, wenn smarte afrikanische Entrepreneure direkt und unmissverständlich sagen: Afrika ist nicht das Opfer, sondern die Lösung.

Genau das tun Andy, Samuel und Edwin. Die drei haben 2024, kurz vor ihrem Uniabschluss, ZEN Carbon gegründet. Heute, kaum ein Jahr später, haben sie ihre Lab-Phase erfolgreich beendet. Jetzt startet die Pilotphase. Ihr gesamtes Team besteht zu 100 % aus Kenianern, sowohl das HQ als auch das Labor befinden sich in Nairobi.

Das Beton-Problem

Beton ist ziemlich mies. Wenn Beton ein Land wäre, wäre es der drittgrößte CO₂-Emittent nach China und den USA. Der Vergleich hinkt natürlich, weil in China und den USA ordentlich viel gebaut wird und das ist auch in Afrika der Fall. Alleine im Großraum Nairobi werden laut Andy jedes Jahr für 500.000 Menschen neue Wohnungen benötigt. Beton ist aus der Bauindustrie nicht wegzudenken. Die Zahlen sind ernüchternd: Pro Tonne Zement werden 600 bis 700 Kilogramm CO₂ freigesetzt – und zwar durch zwei Prozesse: Erstens durch die Beheizung der Drehrohröfen auf über 1.500 Grad Celsius, zweitens durch den chemischen Prozess selbst, bei dem Kalkstein entsäuert wird.

Und während in Europa vielerorts die Bauaktivität stagniert, explodiert sie in Afrika, besonders in den Metropolen. Gerade Afrika spürt in seinen Metropolen den ansetzenden Baudruck der Zukunft.

Hier setzt ZEN Carbon an: Man nehme CO₂ – den Klimakiller – und „pumpe“ es in Beton. Durch Mineralisierung verwandelt sich das gasförmige CO₂ in festes Kalziumkarbonat, also in Kalkstein. Es wird buchstäblich zu Stein und bleibt fest im Beton eingeschlossen. Der Clou dabei: Dieses mineralisierte CO₂ macht den Beton besser. Too good to be true – but it’s true: Der Zement macht normalerweise einen erheblichen Teil des Betons für die Bauindustrie aus. Durch die Einspeisung von CO₂ kann der Zement-Anteil erheblich reduziert werden. Dadurch wird der Beton günstiger, aber, was diverse Feldversuche bewiesen haben: Er wird auch besser. Die Festigkeit war bis zu doppelt so hoch. Mehr dazu gleich im technischen Absatz.

Man liest diese Zeilen und denkt: Das kann nicht stimmen. Weniger Zement und Kosten, mehr Festigkeit, weniger CO₂-Emissionen? Aber genau so ist es. Die Wissenschaft dahinter ist solide, die Praxis beweist es, und ZEN Carbon bringt diese Technologie genau dorthin, wo sie am dringendsten gebraucht wird.

Too good to be true?

Too good to be true?

Die Zusammenarbeit mit Octavia Carbon ergab sich automatisch, denn das von diesen fokussierte DAC-Verfahren braucht eine zuverlässige Art der Einspeisung. Momentan bezieht ZEN sein CO₂ nur von Octavia. Es ist eine perfekte Symbiose: Octavia filtert CO₂ aus der Luft, ZEN Carbon macht daraus Beton. Das eine Unternehmen nimmt das Klimagas aus der Atmosphäre, das andere verwandelt es in Bausubstanz.

Jetzt wird’s technisch(er)

Einige Details, die für besseres Verstädnis sorgen. Wem das zu technisch ist, der kann zur nächsten Zwischenüberschrift springen, wo ich erkläre, wieso die Lösung von ZEN Carbon keine neuen Abläufe in den Betonwerken erfordert.

Der technische Prozess, den ZEN Carbon entwickelt hat, basiert auf einer chemischen Reaktion, die eigentlich seit Jahrzehnten bekannt ist, aber erst jetzt industriell skalierbar wird. Wenn CO₂ in frischen Beton eingespritzt wird, reagiert es mit den kalziumreichen Verbindungen im Zement. Die wichtigsten davon sind Tricalciumsilikat (C₃S), Dicalciumsilikat (C₂S) und Calciumhydroxid (Ca(OH)₂), das beim Abbinden des Zements entsteht.

Das eingespritzte CO₂ bildet in Gegenwart von Wasser zunächst Kohlensäure (H₂CO₃), die dann mit den Kalziumverbindungen reagiert.

Die vereinfachten Reaktionen:

  • Reaktion mit Calciumsilikaten (frühe Karbonatisierung): C₃S/C₂S + CO₂ + H₂O → C-S-H + CaCO₃
  • Reaktion mit Calciumhydroxid: Ca(OH)₂ + CO₂ → CaCO₃ + H₂O

Bei beiden Reaktionen entsteht am Ende dasselbe: Kalziumkarbonat (CaCO₃) – der gleiche Stoff, aus dem auch natürlicher Kalkstein oder Kreide besteht. Dieser bildet sich als winzige Nanopartikel, die sich überall in den Poren und Hohlräumen des Betons verteilen und dort verfestigen. Das gasförmige CO₂ wird so zu einem festen Mineral umgewandelt und bleibt dauerhaft im Beton eingeschlossen.

Die CaCO₃-Nanopartikel verbessern aktiv die Eigenschaften des Betons:

  • Beschleunigte Hydratation: Die Nanopartikel wirken als Kristallisationskeime für Calciumsilikathydrat (C-S-H), das Hauptbindemittel im Beton. Die Hydratation läuft schneller ab, der Beton erreicht früher seine Festigkeit.
  • Filler-Effekt: Die feinen CaCO₃-Partikel füllen Hohlräume in der Betonmatrix, die sonst mit Wasser gefüllt wären oder als Poren bleiben würden. Das Ergebnis: eine dichtere, homogenere Mikrostruktur.
  • Höhere Druckfestigkeit: Die Kombination aus beschleunigter Hydratation, verbesserter C-S-H-Bildung und dichter Struktur führt zu höherer Festigkeit. In Feldversuchen von ZEN Carbon konnte die Festigkeit erheblich, teils sogar verdoppelt werden.
  • Längere Lebensdauer: Ein dichterer, weniger poröser Beton ist resistenter gegen eindringendes Wasser und schädliche Substanzen. Das verlängert die Lebensdauer.
Die Magie hinter CO₂-Beton

Die Magie hinter CO₂-Beton

Aktuell erreicht ZEN eine Zementreduktion von 10 Prozent – bei gleichbleibender oder besserer Performance des Betons. Das Potential der Technologie liegt bei bis zu 30 Prozent Reduktion.

Die CO₂-Bilanz sieht übrigens so aus: Pro Kubikmeter Beton werden etwa 15 Kilogramm CO₂-Emissionen vermieden. Das setzt sich zusammen aus dem direkt gespeicherten CO₂ plus den vermiedenen Emissionen durch weniger Zement. Die Rechnung: Wenn 0,8 kg CO₂ pro kg Zement anfallen und wir rund 19 kg Zement pro Kubikmeter einsparen, ergibt das die 15 kg vermiedene Emissionen.

Für ein mittelgroßes Wohngebäude in Nairobi mit 1.000 Kubikmetern Beton bedeutet das: 15 Tonnen CO₂ weniger. Bei 500.000 neuen Wohneinheiten pro Jahr im Großraum Nairobi wird klar, welches Potential hier liegt.

Eine Technologie ist nur so gut wie ihre Überprüfbarkeit. ZEN Carbon nutzt die Protokolle von Isometric, einem führenden Carbon Credit Registry, für die CO₂-Bilanzierung – ein standardisiertes Verfahren, das jeden Schritt dokumentiert:

  • CO₂-Quellen-Verifizierung: Herkunft, Reinheit und Durchflussrate des CO₂ von Octavia Carbon werden lückenlos dokumentiert.
  • Injektions-Monitoring: Volumen, Zeitpunkt und Intervalle der CO₂-Einspeisung (typischerweise 20-105 Liter pro Charge) werden automatisch erfasst.
  • Reaktorbedingungen: Temperatur, Druck und Mischgeschwindigkeit werden kontinuierlich gemessen.
  • Betonprüfung: Druckfestigkeit nach 7 und 28 Tagen, XRD-Analyse zur Bestätigung der Karbonatphasen, thermogravimetrische Analyse – alles wird getestet und dokumentiert.
Monitoring, Reporting & Verification

Monitoring, Reporting & Verification

Das System ist also ziemlich transparent.

Wie leicht macht man’s der Industrie?

Für Bauunternehmen bedeutet CO₂-angereicherter Beton niedrigere Materialkosten durch weniger Zement, höhere Festigkeit und eine deutlich verbesserte Klimabilanz. In Zeiten, in denen Bauherren zunehmend auf nachhaltige Materialien achten, ist das ein Wettbewerbsvorteil. Und für die Zementindustrie ist die Technologie ein Weg, Emissionen zu senken, ohne die Produktion einzuschränken. Aber wie steht’s mit der praktikablen Anwendung dieser Lösung in den Abläufen der Industrie?

Um das zu beantworten, sollten wir, last but not least, einen Blick auf das Thema Software werfen. Das Team von ZEN Carbon ist inzwischen von drei auf acht Mitarbeiter gewachsen – eine Größe, die es erlaubt, parallel an mehreren Fronten zu arbeiten: Weiterentwicklung der Injektionstechnologie, Software-Integration in bestehende Betonwerke, Qualitätskontrolle und Zertifizierung. Die Software ist dabei ein entscheidender Faktor für die Skalierbarkeit der Technologie.

ZEN hat eine Lösung entwickelt, die sich nahtlos in die bestehenden Batching-Systeme von Betonwerken integrieren lässt. Für den Bediener im Betonwerk ist es nicht komplizierter als die Zugabe eines herkömmlichen Zusatzmittels – CO₂ als neuer Parameter in der Rezeptur. Die Software regelt automatisch die präzise Dosierung basierend auf der Zementmenge oder der gewünschten Festigkeitsklasse.

Diese Benutzerfreundlichkeit ist entscheidend. Betonwerke müssen ihre Abläufe nicht grundlegend ändern, kein Personal umschulen, keine komplett neue Infrastruktur aufbauen. Die ZEN-Technologie dockt an, was bereits da ist. Das Monitoring-System erfasst dabei kontinuierlich alle relevanten Parameter: CO₂-Volumen, Injektionszeitpunkt, Temperatur, Druck. Jede Charge wird dokumentiert, jeder Kubikmeter Beton ist nachvollziehbar.

Die Software erlaubt es auch, verschiedene Betonrezepturen zu testen und zu optimieren. Welche Dosierung bringt bei welcher Zementmischung die besten Ergebnisse? Wie reagiert der Beton unter Umgebungsbedingungen? All diese Daten fließen zurück in die Entwicklung und helfen, die Technologie kontinuierlich zu verbessern. Es ist ein iterativer Prozess.

Samuel, Andy und Edwin, von links nach rechts

Samuel, Andy und Edwin, von links nach rechts

Was bleibt

Als ich mit Andy via Zoom spreche, fällt mir vor allem eines auf: sein unbedingter Optimismus. In Deutschland äußern wir gerne Zweifel: Ist der Arbeitsmarkt nicht gesättigt? Sind die großen Probleme nicht schon gelöst? Hat es überhaupt Sinn, noch ein Start-up zu gründen?

Und: Andy ist stolz auf seinen Kontinent. Nicht auf eine naive Art, die Probleme ignoriert, sondern auf eine selbstbewusste, die sagt: Ja, es gibt Herausforderungen – aber wir lösen sie. Afrika ist jung, Afrika baut und innoviert. Während Europa älter wird und manchmal müde wirkt, ist hier eine Generation am Start, die glaubt, dass sie Dinge voranbringen kann. Und das nicht nur glaubt, sondern tut.

ZEN Carbon ist kein Einzelfall. Es ist Teil eines größeren Narrativs: Afrika entwickelt sich vom Empfänger von Hilfe zum Exporteur von Lösungen.

Über ZEN Carbon

ZEN Carbon wurde 2024 von Andy Onyango, Samuel Opiyo und Edwin Mwangi in Nairobi gegründet und ist das erste Carbon-Mineralisierungs-Startup im Globalen Süden. Das Unternehmen entwickelt Technologien zur Einspeisung von CO₂ in Beton durch Mineralisierung. Das Team besteht momentan aus acht Mitarbeitern. Nach erfolgreicher Lab-Phase befindet sich ZEN Carbon aktuell in der Pilotphase. Das Unternehmen arbeitet eng mit Octavia Carbon zusammen, dem ersten DAC-Unternehmen im Globalen Süden.

Du betreibst eine DAC-Anlage und suchst nach einer Speicherlösung? Du möchtest Emissionen und Produktionskosten in deiner Produktion senken? Oder du entwickelst Bauprojekte mit grüner Zertifizierung? Kontaktiere Andy Onyango unter: andy@zencarbon.org

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