„Moralische Ambition“ von Rutger Bregman hat uns lange beschäftigt. Eine Kernaussage: „Die größte Verschwendung unserer Zeit ist die Vergeudung von Talent.“
Ich weiß noch sehr genau, wie ich auf dieses Buch gekommen bin. Das ist alleine schon eine schöne Geschichte. Ich kam von der re:publica 2025 in Berlin und fuhr im Zug nach Prag. Dabei war ich im Chat mit meinem Bruder zu einem Video von Martin Oetting. Dirk schrieb: „Womit Martin wirklich recht hat: Wenn man sich auf diese neuen Wege macht, dann begegnen einem in der großen Mehrzahl Menschen, denen man begegnen möchte.“ Und dann: „Dieses Buch, gerade herausgekommen, macht sich auch stark dafür, dass die besten und schlausten Köpfe nicht mehr in die Bereiche Marketing, Consulting, Finanzen gehen sollten (weil sie dort am meisten verdienen), sondern dass wir eine Kultur schaffen müssen, in der die schlausten dahingehen, wo die größten Probleme zu lösen sind.“ Und schließlich: „Wir, die jetzt gerade alt genug sind, um an den Hebeln der Welt zu sitzen, haben die Aufgabe, in den folgenden Generationen genau dieses Mindset zu platzieren – am besten durch Vorleben.“
Ich habe „Moralische Ambition“ von Rutger Bregman noch auf der Zugfahrt nach Prag angefangen und war schnell begeistert. Boom – gleich auf der ersten Seite dieser Satz:
„Die größte Verschwendung unserer Zeit ist die Vergeudung von Talent. Weltweit gibt es Millionen von Menschen, die einen großen Beitrag zu einer besseren Welt leisten könnten, es aber nicht tun.“
Das saß. Weil ich sofort an mich dachte. An uns. An beyond content.
Leisten wir einen großen Beitrag? Oder reden wir nur darüber?
Der noble Verlierer und ich
Was mich am meisten getroffen hat: Bregman schreibt über den „noblen Verlierer“. Kennt ihr den? Das ist dieser Typ:
„Die einzige Person, die nichts nützt, ist der Kindskopf, der glaubt, dass gute Absichten für einen guten Zweck ausreichen. Der mit seinen Ansichten auf der ‘richtigen Seite der Geschichte’ steht, aber im Hier und Jetzt nichts zustande bringt.“
Verdammt. Bin ich das? Sind wir bei beyond content das? Wir haben die besten Absichten. Wir wollen die Klima- und Biodiversitätskrise angehen. Wir stehen definitiv auf der „richtigen Seite der Geschichte“. Aber was bringen wir im Hier und Jetzt zustande? Wirklich?
Ich musste das Buch sofort Patrick(G) empfehlen. „Das könnte was mit unserer Mission zu tun haben“, sagte ich. Wir haben etliche Male darüber diskutiert. Er meinte: „Das ist doch genau unser Problem! Wir haben so viel Talent im Team, aber nutzen wir es wirklich?“ Ich konnte nur nicken. Verwirrt. Verunsichert. Aber auch… irgendwie elektrisiert?

Rutger Bregman, Foto: Maartje ter Horst, Rutger Bregman (2024), CC BY 4.0, via Wikimedia Commons
Die 96-Prozent-Erkenntnis
Dann kam diese Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Bregman erzählt von einem speziellen Dorf in den Niederlanden, wo Menschen Juden versteckt haben. Die Forscher wollten wissen: Was war in diesem Dorf anders als an anderen Orten? Was macht diese Helden aus? Besonderer Mut? Spezielle Werte? Religiöser Glaube?
Die Antwort ist so simpel, dass sie wehtut:
„Letztendlich erwies sich ein Umstand als der fast einzig ausschlaggebende. Eine neue Analyse gesammelter Daten zeigte, dass fast alle Menschen sich in Bewegung setzten, wenn diese eine Bedingung erfüllt war – um genau zu sein: 96 Prozent. Und diese Bedingung war? Ganz einfach: Man musste gefragt werden.“
96 Prozent! Stellt euch das vor. Fast ALLE haben geholfen, wenn sie gefragt wurden. Sie mussten nur gefragt werden.
Und jetzt denke ich: Wen fragen wir denn bei beyond content? Wen fordern wir auf mitzumachen? Oder sitzen wir gemütlich in unserer Bubble und warten darauf, dass die Leute von selbst kommen?
Zeros, Ones, Twos und Millions
Bregman erklärt dann diese Theorie von den „Handlungsschwellen“. Es gibt die „Zeros“ – die Pioniere, die keine Ermutigung brauchen. Die „Ones“ brauchen nur einen anderen („Wenn du gehst, gehe ich auch“). Die „Twos“ setzen sich erst in Bewegung, wenn sie zwei an ihrer Seite haben. Und die „Millions“ fangen erst an, wenn die halbe Stadt marschiert.
Mit einem Schlag fühlt es sich fast erstrebenswert an, eine Null zu sein. Ich musste sofort an unser Team denken. Wer von uns ist ein Zero? Sicher viele in unserem Netzwerk der goldenen Herzen.
„Lassen Sie sich also anstecken. Fangen Sie einfach an. Und wenn Sie schon angefangen haben, fordern Sie andere auf, ebenfalls mitzumachen.“
So einfach. So schwer.
Introducing Moral Ambition Films: Find Your Fellowship | Official Trailer

Die Illusionen, die uns lähmen
Okay, jetzt wird’s richtig unbequem. Bregman zählt Illusionen auf, die uns zu „noblen Verlierern“ machen:
- Die Überschätzung von Bewusstsein: Wir denken, wenn die Leute nur wüssten, wie schlimm die Klimakrise ist, würden sie handeln. Quatsch. Es gibt eine riesige Kluft zwischen Wissen und Handeln. Das erleben wir tagtäglich, in Politik und in der Nachbarschaft.
- Gute Absichten reichen: Nein, tun sie nicht. Viele wohltätige Initiativen bewirken nichts oder machen es sogar schlimmer.
- Gutes geschieht nur aus den richtigen Gründen: Auch falsch. Man kann gesellschaftlichen Wandel durch „Moral Reframing“ erreichen – neue Argumente für denselben Standpunkt finden. Ein Beispiel: Statt Solarenergie nur als Mittel für gesünderes Klima zu verkaufen, könnte man sie stärker als Weg zur Energieunabhängigkeit oder als Investition in lokale Arbeitsplätze framen. Vielleicht sollten wir bei beyond content mal experimentieren, wie wir unsere Botschaften für unterschiedliche Zielgruppen neu verpacken können?
Besonders das Moral Reframing hat mich zum Nachdenken gebracht. Bei beyond content predigen wir immer die gleiche Botschaft: Klimakrise, Biodiversität, Verantwortung. Aber wen erreichen wir damit? Die, die eh schon überzeugt sind?
Was heißt das für beyond content?
Patrick, der Rest vom Team und ich haben uns gefragt: Was bedeutet das alles für unsere Mission? Ehrlich gesagt – viel. Denn ich spüre, dass ich etwas verändern kann. Ja, muss.
Vielleicht geht es darum, größer zu denken. Mutiger zu sein. Nicht nur gute Absichten zu haben, sondern… ja, was eigentlich? Das ist ja das Aufwühlende. Das Buch gibt keine einfachen Antworten. Es stellt Fragen. Unbequeme Fragen.
Bei beyond content wird sich nun einiges verändern – wie im letzten bbc-Artikel geschrieben, haben wir bereits begonnen. Und dass sich bei uns so viel verändert, hat auch mit diesem Buch zu tun. Mit dieser Erkenntnis, dass wir zwar keine noblen Verlierer sind, aber noch viel mehr erreichen könnten. Dass wir anfangen müssen zu FRAGEN – und zwar konkret: Machst du mit? Hilfst du uns? Kannst du hier oder dort unterstützen?
Mein Fazit in 3 Punkten
- Das Buch von Rutger Bregman hat u.a. dazu geführt, dass mein Mut – oder was ich bis dahin als solchen bezeichnet hätte – herausgefordert wurde. Klare Antwort für die Zukunft: ja, mehr Mut. Mehr Invest.
- Wir haben als Team verstanden und uns committed, dass wir in Zukunft weiter berichten werden mit guten Geschichten, aber dass wir uns beim Entstehen dieser viel mehr die Hände dreckig machen wollen. Dass wir selber mit anpacken wollen, in Wort, Tat und wo es uns möglich ist auch finanziell.
- Kaum gestartet als 5-er Team (im Oktober 2024) kommt schon wieder ein neuer Anfang. Wir sind gespannt. Ihr dürft gespannt sein. Stay tuned.
„Moralische Ambition“ - für mich eines dieser Meilenstein-Bücher und Lese-Empfehlung. Bregmans Aussage
„… wir versuchen, gute Vorfahren zu sein.“
gefällt mir noch besser als „Geschichten für eine lebenswerte Welt“.
👉 Hier geht zur „Moral Ambition“ Webseite: https://www.moralambition.org/de/uber-uns
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