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28. August 2025, erzählt von Patrick

Afrika entwickelt spannende Klimainnovationen: über einen österreichischen Unternehmer, sein kenianisches Team und das Potential von Direct Air Capture

Martin Freimüller hat sein Leben nach Kenia verlegt, um am Äquator die Zukunft der Klimatechnologie zu gestalten. Mit Octavia Carbon baut er Direct Air Capture-Anlagen (DAC) – und das zu einem Bruchteil der Kosten westlicher Konkurrenten. Diese Geschichte zeigt: Afrika könnte zum Innovationstreiber der globalen Klimabewegung werden.

Während sich Europa und Nordamerika als Vorreiter der Klimabewegung inszenieren, entsteht in Kenias Rift Valley gerade eine technologische Bewegung. Hier, wo die Erdplatten auseinanderdriften und Geothermie-Kraftwerke bereits bis zu 47 Prozent des nationalen Stroms liefern, baut Martin Freimüller mit seinem Team die erste Direct Air Capture Anlage (mit anschließendem Storage) der südlichen Hemisphäre.

„Kenia ist das perfekte Land für diese Industrie“, erklärt der 30-jährige Österreicher, der seit vier Jahren fest in Nairobi lebt. Vor der Unternehmengründung arbeitete er als Strategy Consultant bei Dalberg, wo er erstmals mit dem Potenzial des Kontinents für Klimatechnologie in Berührung kam. Was er sah, ließ ihn nicht mehr los: ein Land mit enormem Potenzial für erneuerbare Energien, einer jungen, hochmotivierten Workforce und geologischen Bedingungen, die weltweit einzigartig sind.

Übrigens: Falls du den Begriff „Geothermie“ noch nicht so oft gehört hast, gibt’s hier ein aktuelles YouTube-Video, das dir das gesamte Konzept in 13 Minuten sehr gut erklärt.

Mitgründer und CTO Duncan Kariuki und Martin Freimüller (von links nach rechts)

Mitgründer und CTO Duncan Kariuki und Martin Freimüller (von links nach rechts)

Die drei Säulen des kenianischen Vorteils

Martin nennt drei Gründe, warum Kenia zum globalen Zentrum für CO₂-Entnahme werden könnte:

  1. Erneuerbare Energie im Überfluss: Mit fast 1.000 MW installierter Geothermie-Kapazität und einem Potenzial von 10.000 MW verfügt Kenia über eine der saubersten Stromnetze der Welt. Zur Einordnung: Die 10.000 MW entsprechen zwischen einem Fünftel und Sechstel des deutschen Strombedarfs. An guten Tagen stammen bereits heute 95 Prozent des kenianischen Stroms aus erneuerbaren Quellen. Die Geothermie liefert dabei rund um die Uhr zuverlässige Grundlast – ein entscheidender Vorteil für die energieintensive DAC-Technologie.
  2. Geologie: Der Ostafrikanische Grabenbruch bietet ideale Bedingungen für die dauerhafte Speicherung von CO₂. Das gefilterte Kohlendioxid kann in vulkanische Basaltformationen injiziert werden, wo es innerhalb weniger Jahre zu stabilem Gestein mineralisiert. „Man könnte theoretisch das gesamte bisher von der Menschheit emittierte CO₂ allein in Kenias Untergrund speichern“, erklärt Martin.
  3. Eine Workforce auf Weltklasseniveau: „Was die Ingenieurs-Berufe angeht, ist Kenia auf dem Level von Indien“, betont der CEO. Das Land bildet exzellente Ingenieure und Ingenieurinnen aus, die hochmotiviert sind, an Klimaschutzlösungen zu arbeiten – nicht zuletzt, weil sie die Folgen des Klimawandels hautnah erleben.
Die Anlage von Project Hummingbird im Great Rift Valley

Die Anlage von Project Hummingbird im Great Rift Valley

Project Hummingbird

Die Pilotanlage von Octavia Carbon heißt „Project Hummingbird“ – und wird bei voller Kapazität jährlich 1.000 Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre filtern. Das klingt nach wenig, ist aber ein gewaltiger Schritt: Als zweites Unternehmen weltweit (nach dem Schweizer Pionier Climeworks) schließt Octavia Carbon den kompletten Kreislauf von CO₂-Entnahme und geologischer Speicherung.

Project Hummingbird steht im Ostafrikanischen Graben (Great Rift Valley), etwa fünf Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt. Die Mitarbeitenden wohnen in der Nähe – ein bewusster Ansatz, um lokale Communities einzubinden. Dieses Paper zur „Community Engagement Strategy“ hat Martin mitverfasst.

„Wir wollen nicht als fremde Technologie-Kolonialisten auftreten, sondern mit den Menschen vor Ort arbeiten“, erklärt er. Aktuell beschäftigt Octavia Carbon 70 Mitarbeitende, davon 40 Ingenieure. Bis 2030 soll das Team weiter wachsen, wovon viele neue Fachkräfte in der Fabrik eingesetzt werden – als Schweißer, Elektriker und Techniker. Dabei zahlt das Unternehmen überdurchschnittliche Löhne und investiert gezielt in die Ausbildung lokaler Fachkräfte.

Das ambitionierte Ziel: Bis 2032 möchte Octavia Carbon 100.000 Tonnen CO₂ pro Jahr aus der Luft nehmen. Der Hauptsitz des Unternehmens bleibt dabei in Nairobi – ein klares Bekenntnis zum Standort Afrika.

Remote gelegen, fünf Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt

Remote gelegen, fünf Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt

Ein Kostenvorteil, der die Branche aufhorchen lässt

„Wir wissen, wie man die Cost Curve runterbringt“, sagt Martin selbstbewusst. Tatsächlich operiert Octavia Carbon mit nur einem bis maximal fünf Prozent des Budgets, das vergleichbare Projekte in Europa oder Nordamerika verschlingen. Diese drastische Kostenreduktion ist kein Zufall, sondern das Ergebnis cleverer Standortwahl und lokaler Innovation.

Die Botschaft kommt allerdings noch nicht überall an: „Die Erkenntnis, dass Afrika Teil der Lösung ist, setzt sich nur langsam durch“, bedauert Martin. Dabei ist seine These klar: „Wir brauchen den Globalen Süden für die Lösung der Herausforderung.“ Die Vision geht noch weiter: In Kenia geothermisch gespeichertes CO₂ kann künftig, in Form von CO₂ Zertifikaten, in die ganze Welt verkauft werden.

Mit mehreren Millionen US-Dollar gesicherter Investitionen und weiteren Millionen, die bereits zugesagt sind, zeigt sich: Das Vertrauen in Octavia Carbon wächst. Interessanterweise spielten dabei von Anfang an Business Angels und Family Offices eine große Rolle, während klassische Investoren und Accelerators schwerer zu überzeugen waren. „Für ein Deep-Tech-Unternehmen ist es ungewöhnlich, in dieser frühen Phase bereits 16 B2B-Kunden zu haben“, erklärt Martin stolz. Darunter ist die dänische Carbon-Removal-Plattform Klimate, die 950 Tonnen CO₂-Credits vorab gekauft hat – einer der 30 größten DAC-Deals weltweit.

Und jetzt?

Was in Kenia passiert, ist kein Einzelfall. Der gesamte Kontinent entwickelt sich zum Hotspot für Klimainnovation. Projekte wie das Africa Carbon Removal Accelerator (ACRA) Programm oder die zahlreichen Geothermie-Initiativen, die mit Kenias Unterstützung derzeit in Ruanda, Uganda und Tansania entstehen, zeigen, welche Innovationskraft in diesem Kontinent liegt.

Es ist eine bittere Ironie: Afrika trägt nur vier Prozent zu den globalen CO₂-Emissionen bei, leidet aber überproportional unter den Folgen des Klimawandels. Dürren, Überschwemmungen und Ernteausfälle treffen den Kontinent hart.

„Die jungen Ingenieure hier erleben den Klimawandel hautnah“, erklärt Duncan Kariuki, Martins kenianischer Co-Founder und technischer Leiter. Der Maschinenbauingenieur wuchs am Fuße des Mount Kenya auf und sah, wie die Gletscher verschwanden und Flüsse austrockneten. Diese persönliche Betroffenheit treibt das Team an, 80-Stunden-Wochen sind keine Seltenheit.

Bis 2032 möchte Octavia Carbon 100.000 Tonnen CO₂ pro Jahr aus der Luft nehmen

Bis 2032 möchte Octavia Carbon 100.000 Tonnen CO₂ pro Jahr aus der Luft nehmen

Und was können wir alle konkret tun? Die Antwort ist einfacher als gedacht: Unternehmen wie Octavia Carbon ermöglichen es, echte – nicht nur symbolische – CO₂-Kompensation vorzunehmen. Während wir alle unseren Fußabdruck reduzieren sollten, gibt es Emissionen, die sich nicht so einfach vermeiden lassen. Direct Air Capture entfernt CO₂ tatsächlich aus der Atmosphäre, anstatt nur zukünftige Emissionen zu verhindern. Über die Website des Unternehmens können Carbon Removal Credits erworben werden. Wie schwer es aber grundsätzlich noch ist, als kleines Unternehmen (oder als Privatperson) Carbon Removal Certificates zu kaufen, hat neulich die Carbon Drawdown Initiative erfahren und aufgeschrieben. Es muss sich noch einiges tun, bevor der CDR-Markt wirklich massentauglich wird, obwohl es Knowledge und Technik dafür bereits heute gäbe. Ebenfalls wird dem DAC von anderen Methoden, wie dem Biochar Carbon Removal (BCR), noch klar die Show gestohlen – das soll und wird sich ändern.

Dieser Artikel ist von Jörns Gespräch mit einem Jugendfreund inspiriert und könnte erst der Beginn sein. Afrika verdient mehr Aufmerksamkeit – nicht als Objekt westlicher Entwicklungshilfe, sondern als gleichberechtigter Partner und Innovationstreiber. Wir bei beyond content überlegen, dem Kontinent eine eigene Artikel-Serie zu widmen, planen möglicherweise sogar eine Recherchereise vor Ort.

Über Octavia Carbon

Octavia Carbon ist das erste Direct Air Capture-Unternehmen im Globalen Süden und betreibt die weltweit zweite DAC+Storage-Anlage. Das 2022 gegründete Unternehmen mit Sitz in Nairobi nutzt Kenias einzigartige Kombination aus erneuerbarer Energie, perfekter Geologie und talentierter Workforce, um CO₂-Entnahme dramatisch günstiger zu machen als bisherige Ansätze.

Kontakt für weitere Informationen: Martin Freimüller steht für Interviews, Podcasts und weitere Content-Formate zur Verfügung. Das Unternehmen plant, seine Erfahrungen und Erkenntnisse aktiv zu teilen, um die Rolle Afrikas in der globalen Klimabewegung sichtbarer zu machen.

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